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09.06.–15.06.
Historisches rotes Backsteingebäude mit Rundbogenfenstern und steilen Dächern an einem sonnigen Tag, umgeben von Bäumen auf der Straße.

Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße, 2025, Bild: Raisa Galofre

Ehemaliges Gerichtsgebäude Lehrter Straße
Lehrter Straße 60
10557 Berlin

Legalität, Illegalität und der Anspruch der Kunst

Dieses ehemalige Gerichtsgebäude, mit Löchern übersät, ermöglicht eine Untersuchung der Begriffe Legalität und Illegalität, und stellt beiden den Anspruch von Künstler*innen gegenüber sowie deren Möglichkeit, eine Aktion oder ein Readymade als Kunstwerk zu bezeichnen. Einst wurde ein Pissoir als Kunstwerk benannt.Die Biennale argumentiert jedoch, dass der Akt, die Geheimpolizei an der Verbrennung von Akten zu hindern, oder die Rettung eines Sees der künstlerische Anspruch unserer Zeit sein könnte.

In der Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Gebäudes als Ort der Staatsgewalt haben Künstler*innen Prozesse und Geschichten aus seiner Zeit als Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis ans Licht gebracht. Sie bedienen sich humoristischer und absurder Sprache, um gegen den Militarismus Stellung zu beziehen. Indem sie Formen der Oralität eines Raums wie des Gerichts aufgreifen, stellen die Künstler*innen durch Knüpfen, Gehen, Lesegruppen, wissenschaftliche Vorträge und People’s Tribunals Forderungen, um Bedeutung wiederherzustellen und Kanäle der Würde zu öffnen.

In einer Epoche, in der Künstliche Intelligenz die Zeit beschleunigt und verkürzt, ist die Ausstellung wie eine Technologie, um Zeit zu dehnen und zu verlangsamen. Sie erzeugt die Zeit, die eigentlich benötigt wird, um Verwüstung und Gewalt durchdenken zu können. Die Löcher in den Wänden des Gebäudes ermöglichen ein sedimentäres Verständnis der Gegenwart, bieten die Möglichkeit zur Erfahrung von Quantenzeit und übermitteln fehlende Geschichtsfragmente durch stille Denkmaler und Gegen-Monumente.

Geschichte des Gebäudes

Das ehemalige Gerichtsgebäude Lehrter Straße steht seit 2012 leer und wird im Rahmen der 13. Berlin Biennale erstmals als Ort für zeitgenössische Kunst in Berlin zugänglich gemacht. 

Der Backsteinbau wird 1902 als Erweiterungsbau der Nördlichen Militärarrestanstalt in der Lehrter Straße fertiggestellt und durch eine Verbindungsbrücke, die unter den Häftlingen in Anlehnung an die venezianische Brücke als „Seufzerbrücke“ bekannt ist, mit dem Gefängnisgebäude der Lehrter Straße 61 verbunden. 

Eines der bekanntesten Verfahren, die hier geführt werden, ist der Prozess gegen Karl Liebknecht im Jahr 1916. Liebknecht wird wegen seiner Teilnahme an einer Antikriegsdemonstration verhaftet, zunächst in das benachbarte Gefängnis verlegt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Freilassung hält Liebknecht eine seiner ersten Reden in den Sophiensælen. 

Der Gebäudekomplex dient später als militärisches Ausbildungszentrum sowie mit Wiedereinführung der Militärjustiz durch die NSDAP als Wehrmachts­untersuchungsgefängnis. Einschusslöcher an der Fassade lassen vermuten, dass hier heftige Kämpfe zwischen der deutschen Wehrmacht und der Roten Armee stattgefunden haben müssen. Nach Kriegsende befindet sich der Gebäudekomplex auf dem Gebiet der Bundesrepublik. 1950 zieht das Strafvollzugsamt in das Gerichtsgebäude, das angrenzende Gefängnis wird bis Mitte der 1980er Jahre als Justizvollzugsanstalt für Frauen genutzt. Zu den bekanntesten Insass*innen zählen Mitglieder der Rote Armee Fraktion. Nicht zuletzt wegen schlechter Haftbedingungen kommt es zu Protestaktionen, Fluchtversuchen und Ausbrüchen von Inhaftierten, Mitarbeiter*innen kündigen aus Solidarität. 

Zuletzt wird das Gebäude als Zweigstelle des Amtsgerichts Tiergarten genutzt. In Vorbereitung auf die 13. Berlin Biennale wird die Struktur der Dienstzimmer nicht verändert. Sie erzählen nach wie vor von den Bedingungen des Rechts.

Die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt plant, das Gebäude im Anschluss zu einem künstlerischen Produktionsort für die Freie Szene Berlins zu entwickeln.