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Als eine meiner älteren Schwestern während des ersten Balkankrieges in den 1990er Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland flüchtete, musste sie ihren Ausweis und ihre Papiere verstecken, um nicht umgehend wieder abgeschoben zu werden. Sie erzählte mir, dass sie die Dokumente in ihre Unterwäsche eingenäht hatte, um sie an den Kontrollen vorbei zu schmuggeln.

Ich stelle mir eine Naht als eine Grenze vor, als Trennlinie, die zugleich verbindet – sie ist ambivalent. Sie ist eine poröse Membran, die die Teile, die sie trennt, fest zusammenhält. Im menschlichen Körper ist eine solche Grenze das Zwerchfell (im Griechischen: „Zaun“). Im antiken Griechenland glaubte man, dass dort die Seele zu finden sei. Es war undurchdringbar: Es trennte die reinen Organe – das Herz, die Lunge, und weiter oben: das Gehirn – von den unreinen, schmutzigen Teilen wie den Innereien und Ausscheidungen. Man glaubte, dass nur Lachen – durch die erzeugten Vibrationen – in der Lage war, das Zwerchfell durchlässig zu machen und so beide Teile des menschlichen Körpers zu vereinen.

Die Schriftart Times ist die Standardschrift des Rechtswesens, der Bürokratie und der Wissenschaft. Sie ist der Industriestandard für juristische Dokumente bei Gericht. So vertraut ist sie, dass wir sie nicht mehr als gestaltete Form, sondern als Repräsentation von Macht und Sicherheit wahrnehmen.

Hier kommt Rhymes ins Spiel, gezielt verwirrend und um ein Haar mit Times zu verwechseln – Identitätsdiebstahl! Die Schriftart Rhymes, entwickelt zwischen 2017 und 2021, basiert auf ausrangierten Designs von Times, die nie digitalisiert wurden. Sie verführt uns zu einem visuellen Gefühl von Sicherheit, doch in Wahrheit ist sie ein eigentümlicher Doppelgänger.

Enver Hadzijaj, Grafikdesigner
der 13. Berlin Biennale

Die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst findet alle zwei Jahre an wechselnden Orten in Berlin statt. Seit ihrer ersten Ausgabe im Jahr 1998 hat die Berlin Biennale es sich zur Aufgabe gemacht, mit experimentellen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogrammen namhaften Kurator*innen einen Freiraum zu schaffen und mutige künstlerische wie politische Positionen unabhängig von den Interessen des Kunstmarktes vorzustellen. Die Berlin Biennale erkundet internationale künstlerische Entwicklungen der Gegenwart, die Verborgenes und Unbekanntes greifbar machen. Jede Ausgabe bringt Künstler*innen, Theoretiker*innen und Interessierte aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zusammen und eröffnet so einen Dialog mit den Bewohner*innen der Stadt.

Die 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst findet vom 14. Juni bis zum 14. September 2025 statt und wird von Zasha Colah kuratiert. Valentina Viviani ist Assistenzkuratorin.

Weitere Informationen auch über frühere Ausgaben finden Sie auf der institutionellen Website der Berlin Biennale.