key1key1
kalender

Von der Repolitisierung der Vermittlungspraxis

In der Flüchtigkeit verweisen wir auf unsere Vertreibung.
Die Getriebenheit, unsere Durchtriebenheit, unsere zielgerichtete Rückkehr.
Ihr werdet uns nicht los.

Vermittlung ist eine Praxis des Überdenkens. Sie ist eine Einladung, etablierte Strategien hinter sich zu lassen und Räume für eine Neuorientierung, Repositionierung und Umformulierung zu schaffen – zumindest sollte das so sein.

Das Denken und Arbeiten rund um die Vermittlung ist eng mit dem Raum verbunden, dem physischen wie dem sozialen. Kunstinstitutionen – ihre Ausstellungsräume, Kommunikationskanäle und Diskurssphären, definieren sich sowohl durch ihre Zugangsbarrieren als auch durch ihre selektiven Inklusionsmöglichkeiten. Unsere Erfahrungen mit diesen Strukturen haben uns dazu bewegt, eine Praxis zu erproben, die wir als Vermittlungsverweigerung bezeichnen wollen. Wir weigern uns, Ausnahmen zu machen, die die Maschinerie des Kunstbetriebs unberührt lassen: Ausnahmen, die sie nicht verlangsamen, ins Stocken bringen oder zwingen, ihre gewohnten Abläufe über den begrenzten Zeitraum einer Ausstellung hinaus zu hinterfragen.

Anstatt uns ausschließlich auf institutionelle Barrieren zu konzentrieren, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf deren Funktionsweisen: Barrieren als Schleusen, als Mechanismen, die bislang unerreichbare Abschnitte eines Kanals und damit unbekanntes Terrain zugänglich machen, regulieren und vermitteln. Der Begriff bezieht sich gleichermaßen auf die Stauregulierung von Wasserstraßen für den Schiffsverkehr wie auf die kriminalisierte Praxis, Menschen ohne Papiere über nationale Grenzen zu bringen.

Mit der Vermittlungsarbeit der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst suchen wir nach Methoden, bestehende institutionelle Strukturen zu erweitern – und gleichzeitig materielle und immaterielle Ressourcen sichtbar zu machen. Dabei bauen wir innerhalb der Biennale Beziehungen auf und wenden hierfür Codeswitches an (das Überwechseln von einem sozialen Code in einen anderen), womit wir unsere eigenen Standpunkte kontinuierlich hinterfragen. So geht die Ausrichtung unserer Praxis über die bloße Outreach-Arbeit und die begrenzte Einladung von Gästen hinaus – wir betrachten unsere Arbeitspartner*innen vielmehr als Gefährt*innen. Die Richtung geht nicht von der Institution nach außen, sondern von den Außenräumen nach innen. Der Kern dieser Haltung besteht darin, mit lokalen Akteur*innen zusammenzuarbeiten, die Expert*innen darin sind, Gemeinschaften zusammenzuhalten.

„Sie wussten nicht, dass Flure und Treppenhäuser Orte der Versammlung sind, Lichtungen innerhalb der Mietshäuser, oder dass die Liebe in den Hauseingängen1 wohnt.“¹

Die Vermittlungsprojekte sind als integrale Bestandteile der Ausstellungen konzipiert und werden selbst als Kunstwerke behandelt. Ziel ist es, die internationalen Projekte der 13. Berlin Biennale mit dem reichen kulturpolitischen Kontext Berlins zu verknüpfen. So wird das Treppenhaus des ehemaligen Gerichtsgebäudes in der Lehrter Straße zu einem Versammlungsraum, zu einer Tribüne, die eingenommen werden soll. Wir werden Adaptionen von zwei People’s Tribunals sehen: eines zu Fällen von Repression von Aktivist*innen im Sudan, ein anderes zu Fällen der Repression kultureller Rechte als Unterdrückung der Zivilrechte auf den Philippinen. Ein People’s Tribunal entsteht aus einer Notwendigkeit: Gebraucht wird ein Raum für Gerechtigkeit, wenn diese zuvor verweigert wurde. Es handelt sich um ein Tribunal, das im Exil stattfindet. Die Grenzen zwischen dem Format, seinen Adaptionen der Suche nach Gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit sowie den Forderungen der ausgestellten Kunstwerke ziehen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah in einem eigens dafür vorgesehenen Raum im ehemaligen Gerichtsgebäude.

Dieser Ansatz der Verflechtung verschiedener Konzepte und Kontexte, die in einem Ausstellungsraum präsent und auch abwesend sind, taucht im gesamten Vermittlungsprogramm auf vielfältige Weise auf. Räumliche Vermittlung verhandelt soziale Räume. Sie beginnt immer mit der Überlegung, wie wir uns als Menschen in den Ausstellungsräumen erleben, wie wir darin unterstützt werden und uns in unseren Körpern wohlfühlen können. Die Dichterin Tracy Fuad nutzt informelle Momente wie das Abhängen, Ausruhen und Spielen, um die Verbindungen zwischen den künstlerischen Strategien der Ausstellung zu erforschen.

Da der öffentliche Raum für Dissens und Kritik schwindet, wenden wir uns dem Gebrauchswert vorhandener Strukturen zu. Während Investitionen in Militarisierung steigen, Grenzgewalt zunimmt und systemischer Rassismus fortbesteht, werden soziale Auffangnetze für Gemeinschaftsräume auf lokaler Ebene abgebaut. Dies betrifft viele öffentliche Institutionen wie Universitäten oder Kultur- und Jugendeinrichtungen. In unserer Praxis geht es um eine pragmatische Hinwendung zum Existierenden, eine Nutzbarmachung als Ausgangspunkt und zur Knüpfung von Partner*innenschaften.

Eine dieser Partner*innen ist das Künstler*innenkollektiv parallelgesellschaft, das Spoken-Word-Performances macht, mit denen es die Besucher*innen zum Lachen bringt, aber auch gemischte Gefühle provoziert. Jede Lesebühnenshow hat einen Gesprächsteil und schafft jenseits der etablierten Literaturinstitutionen gemeinsame Schutz- und Entwicklungsräume, um sich mit politischen Zusammenhängen zu beschäftigen – von einer Bühne in Neukölln bis zum Hof der KW Institute for Contemporary Art.

Auch in den KW wird der Arbeit von Zoncy Heavenly zu begegnen sein. Ihre gelebte Erfahrung als Aktivistin sowie ihre diskursive Praxis sind prägend für ihr künstlerisches Schaffen. In ihm verbindet sie Erzählungen aus der jüngeren Geschichte Myanmars mit den unmittelbaren Reaktionen von Künstler*innen. Ihre Werke bieten die Möglichkeit, sich mit künstlerischen Bewältigungsstrategien auseinanderzusetzen. Indem Zoncy Heavenly sich mit verschiedenen Öffentlichkeiten in Berlin auseinandersetzt, die sie gleichermaßen einbezieht, fördert sie in einem interaktiven Erlebnis das Verständnis für künstlerische Resilienz.

Das Programm wird durch Kooperationen mit Universitäten und durch themenspezifische, dialogisch angelegte Fokus-Führungen von Vermittler*innen ergänzt. Die Vermittler*innen sind Teil einer Gruppe von Difficultators, die mit ihren verschiedenendenen Wissensbereichen eine Erweiterung von Erfahrungshorizonten ermöglichen – geführte Begegnungen in einer Welt, der wir in der Regel ohne Trigger-Warnungen begegnen.

Wir konzentrieren uns auf Praktiken der kollektiven Selbstvermittlung und regen alle Besucher*innen zum Nachdenken darüber an, wie sie den Raum nutzen, Verbindungslinien zwischen verschiedenen politischen Kontexten ziehen und Muster von Unterdrückung und Ungerechtigkeit erkennen können, um deren Organisationsformen zu überwinden. Kann Kunstvermittlung zum sozialen Selbstverteidigungstraining werden, wenn sie sich mit politischer Bildung verbündet?

Duygu Örs, Jasmine Grace Wenzel

¹ Saidiya Hartman, Aufsässige Leben, schöne Experimente, Berlin 2022.