Encounters
Eine Begegnung impliziert die Unvorhersehbarkeit des Aufeinandertreffens von zweien oder von vielen. Sie lässt uns innehalten, und sei es nur für einen Moment, sie dehnt die Zeit – wie wenn wir im Morgengrauen einem Fuchs in der Stadt begegnen. Wir beobachten aufmerksam, lauschen den Bewegungen des Fuchses und den Geräuschen aus der Umgebung. Wir können neben ihm hergehen und mit einem Seitenblick verfolgen, welchen Weg er einschlägt. Oder wir können stehen bleiben und versuchen, die Begegnung so lange wie möglich andauern zu lassen. Sind wir danach beide anders? Ich möchte davon ausgehen, dass wir die Spuren dieser Begegnung in uns tragen.
Während der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst schlagen die Künstler*innen Encounters, also Begegnungen vor, die sich aus ihren Werken und den von ihnen vorgestellten Thesen ergeben: von Lesegruppen, wissenschaftlichen Vorträgen, Tribunalen und kollektiven Gedenkspaziergängen in der Stadt bis hin zu kleinen, inszenierten Witzen oder Comedy-Abenden. Zusammen bilden diese Veranstaltungen die Reihe Encounters. Einige öffnen auch einen Raum für flüchtige, unerwartete oder ephemere Akte, die sich auf Oralität und elementare Formen der Übertragung konzentrieren.
Was meinen wir heute, wenn wir von Oralität sprechen? Welche Praktiken können als solche identifiziert werden, wenn wir uns von einer anthropologischen Perspektive distanzieren? Die 13. Berlin Biennale bringt die vielen zeitgenössischen Formen von Oralität und Diskursivität zusammen, die derzeit als Kunstsprachen verwendet werden, um die konzeptuellen, humoristischen und künstlerischen Register zu betonen.
Die Arbeiten und Projekte der 13. Berlin Biennale verhandeln Akte der Übertragung und des Weitergebens. Sie untersuchen, wie Botschaften in Zeichen oder Doppeldeutigkeiten verborgen sind, sodass sie Grenzen, Überwachungsmechanismen oder Zensur in Unrechtsstaaten überwinden können, um dann auf unterschiedliche Weise gelesen zu werden. Manchmal scheinen die Werke zu wissen, wer das Gegeüber ist, manchmal scheinen sie die Übertragung zu initiieren, ohne sicher zu sein ob die Botschaft empfangen wird – geschweige denn von wem und wann. Während die Interpretationen offenbleiben, sind wir davon überzeugt, dass diese Botschaft sich bewegen, nachhallen und weitergegeben werden muss. Die Geschichten, Prämissen und Fragen nehmen verschiedene Formen oder Nuancen des „Versteckens“ an. Viele sprechen auf erfinderische Weise – auf den Spuren des Fuchses als Trickster. Mal mehr, mal weniger undurchsichtig entfaltet sich diese im Werk von Künstler*innen, die Übertragung als etwas begreifen, das sich stets wandelt, um der Vereinnahmung zu entgehen – aber auch, um das Denken nicht einzuengen.
Auf den ersten Blick mögen diese künstlerischen Aktionen zwar harmlos oder vertraut erscheinen (und dadurch weder bedrohlich noch desorientierend), aber wer genau hinsieht, sich auf sie einstimmt, kann die Freiheiten erkennen, die sie insgeheim hinein- und hinausschmuggeln. Ihr, das Publikum, werdet zu Mitwissenden dieser Begegnungen. So wie man über einen Insider-Witz lacht, weil man die Anspielung versteht, weil man zwischen den Zeilen lesen kann, weil man „in on the joke“ ist. Das Lachen funktioniert hier wie eine Antwort – wie ein „Ich höre dich, ich bin bei dir.“ Es bestätigt, dass einem etwas übermittelt wurde. Nehmt den Witz, gebt ihn weiter, bringt andere zum Lachen und findet in ihnen neue Verbündete.
Text: Valentina Viviani