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09.06.–15.06.
A person with glasses and a dark top looks into the camera. A green and yellow filter has been placed over the photo.

Merle Kröger, *1967 in Plön, BRD. Orte der Zugehörigkeit: Berlin, Mumbai. Verbundenheit: dogfilm, pong film. Buch: Grenzfälle. Dokumentarische Praxis zwischen Film und Literatur bei Merle Kröger und Philip Scheffner, 2021.

© Maria Sturm

Im Rahmen einer Initiative, Schutznetze an der Golden Gate Bridge anzubringen, wurde kürzlich bekannt, dass die meisten Suizide dort mit Blick auf San Francisco – und nicht auf den Ozean – begangen werden. Dies mag rein logistische Gründe haben, doch es regt auch zum Nachdenken darüber an, ob Suizid nicht eher als ultimativer Akt der Flucht vor etwas denn als Ausbruch hinein ins Ungewisse zu verstehen ist. Das kuratorische Konzept des Flüchtigen geht genau von diesem Kerngedanken aus und versteht Flucht als aktive Entscheidung für eine Alternative.

Im Jahr 1983, nach monatelangem Kampf gegen seine Abschiebung aus Deutschland, wählte der junge türkische Aktivist Cemal Kemal Altun eine Alternative und stürzte sich aus dem Fenster eines Gerichtsgebäudes in Berlin-Tiergarten in den Tod. Seine Familie erfuhr vor laufender Kamera – im Rahmen eines Berichts der Sendung Panorama – von seinem Tod. Die Journalistin Navina Sundaram setzte sich in ihrer Karriere für eine „neue Weltordnung der Kommunikation“ ein, um Vorurteile zu korrigieren, die ihrer Meinung nach einen „neokulturellen Kolonialismus“ aufrechterhalten. Während der Suizid des Aktivisten starke politische Reaktionen hervorrief, lehnte es Sundaram ab, in ihrem Bericht auszublenden, wer er als Mensch war. Ihre Entscheidung, statt vorbereiteter Interviews diese Aufnahmen zu zeigen, stieß auf heftige Kritik – auch von ihrem Kollegen Peter Gatter, der sich mit Sundaram noch in der Sendung über die ethischen Aspekte der Ausstrahlung dieses traumatischen Moments auseinandersetzte.

In ihrer Audioinstallation rekonstruiert Merle Kröger diese Geschichte und untersucht weitergehende Aspekte von Altuns Tod im Kontext der xenophoben Rhetorik in Deutschland seit den 1980er Jahren. Zuvor war Kröger an der Entwicklung von The Fifth Wall beteiligt, einem Archiv von Sundarams Arbeit als Filmemacherin und Redakteurin. Sie nutzte diese Einblicke, um die Umstände von Altuns Prozess in ihrem literarischen Essay Panorama zu analysieren, auf der die aktuelle Arbeit basiert.

Text: Kate Sutton

A person with glasses and a dark top looks into the camera. A green and yellow filter has been placed over the photo.

Merle Kröger, *1967 in Plön, BRD. Orte der Zugehörigkeit: Berlin, Mumbai. Verbundenheit: dogfilm, pong film. Buch: Grenzfälle. Dokumentarische Praxis zwischen Film und Literatur bei Merle Kröger und Philip Scheffner, 2021.

© Maria Sturm